Null-Diät

Zwei Wochen um die 500 Kalorien am Tag zu sich nehmen, gerne auch weniger, dazu ein wenig Sport - der Traumkörper kann kommen! Danach esse ich wieder normal, habe einen super Körper und bin zufrieden. Diese paar Wochen werde ich schon aushalten.

Stopp. Das hört sich vielleicht harmlos an, aber kann auch ganz anders enden. Womöglich lauft ihr direkt in eine Essstörung hinein und erkennt das erst, wenn es zu spät ist.

500 Kalorien (oder auch 0, 700, 1000,...), was bedeutet das für den Körper?

 Er bekommt nicht genug Nährstoffe und der Körper fährt völlig runter, um die wenige Energie, die er noch hat, effektiv nutzen zu können. Er nimmt sich die Energie aus den Muskeln, d.h. ihr werdet weniger Muskeln haben und zunehmend schwächer. Abends mit Freunden in der Disco tanzen? Vergesst es, das haltet ihr keine Stunde durch. Dafür fehlt euch die Kraft und mit weniger Kraft habt ihr auch weniger Spaß an irgendwelchen Aktivitäten, also verschanzt ihr euch lieber im Zimmer.

Lanugohaare. Ein weicher, weißer Flaum, der sich auf der Haut bildet, vor allem an Rücken, Bauch und Gesicht. Ein Schutzmechanismus des Körpers, um ihn irgendwie warm zu halten. Ich kann euch sagen, dass es echt unangenehm ist, wenn man diesen Flaum am Körper hat. Man fühlt sich wie ein Affe. Richtig unangenehm wird es dann, wenn andere Leute einen berühren und diesen Flaum spüren. Wollte man nicht eigentlich hübsch werden?

Epilepsie. Krampfanfälle, die ich regelmäßig habe - ein Zeichen dafür, dass der Körper zu wenig Energie hat und rebelliert. Es ist egal, wo ihr gerade seid: Im Bus, im Supermarkt, zuhause, in der Schule, egal. Ein epileptischer Anfall kündigt sich nicht an und ihr könnt in den peinlichsten Situationen erwischt werden. Der Körper bricht zusammen, zittert stark, und man kann nichts machen. Die Leute stehen um einen herum, schauen einen mitleidsvoll an, und wissen nicht so recht, wie sie sich verhalten sollen. Letztlich wird der Notarzt gerufen und man muss die Nacht im Krankenhaus verbringen. Führerschein? Könnt ihr direkt vergessen. Wenn ihr einen Anfall erlitten habt, dürft ihr ein Jahr nicht Auto fahren. Erst, wenn ihr ein Jahr "anfallfrei" seid, dürft ihr hinter das Steuer. Am nächsten Tag habt ihr ganz schlimmen Muskelkater. Viel stärker als normaler Muskelkater und vor allem am ganzen Körper. Ihr spürt jeden noch so kleinen Muskel, lernt Muskel kennen, von denen ihr nie wusstet, dass sie existieren, und jede Bewegung schmerzt. Ihr lauft ein Leben lang mit dieser Krankheit rum, schluckt Tabletten, und müsst ständig Angst haben, einen Anfall zu erleiden. Aber egal, man möchte schließlich den perfekten Körper haben, richtig?

Osteoporose. Eine Krankheit, die überwiegend bei älteren Menschen auftritt. Eure Knochen sind brüchig und ihr müsst sehr vorsichtig sein, dass ihr euch nicht irgendwo den Arm blöd anschlagt, weil er sonst direkt gebrochen ist.

Nicht zu vergessen, dass euch ständig schwindelig sein wird, ihr den ganzen Tag schlafen könntet oder ihr alles tut, um Essenssituationen zu vermeiden. Abendessen mit der Familie könnt ihr vergessen, so einfach mit Freunden könnt ihr auch nicht raus, weil man doch meist noch bei Mäcces oder einem Bäcker stoppt und etwas isst. Das geht natürlich nicht. Also verschanzt ihr euch in eurem Zimmer, werdet zunehmend isolierter und einsamer. Die Freunde wenden sich von einem ab, weil man ja eh keine Zeit für sie hat (Sport muss man treiben, jawohl!), und wenn, dann ist man schlecht drauf.

Anfangs merkt ihr gar nicht, wie ihr immer tiefer in diesen Wahn geratet. Aber krank? Nein, du doch nicht, haha. Person X ist schließlich dünner und Person Y geht es schlechter. Ein Problem gibt es nicht. Sobald die Waage xx Kilo anzeigt, wird alles gut sein. Dann kann man auch endlich die Pizza essen, auf die man so sehnsüchtig wartet.

Der Tag kommt, xx Kilo steht auf der Waage. Ihr betrachtet euch im Spiegel, seid nicht zufrieden. Hier ist ein Speckröllchen zu viel, der Bauch könnte flacher sein, das Schlüsselbein ist nicht gut genug zu sehen. Fünf Kilo noch, dann sollte der Körper perfekt sein. Diese fünf Kilo schafft man ja jetzt auch noch, richtig?

Aus den fünf Kilo werden zehn Kilo, fünfzehn Kilo. Man kann nicht mehr aufhören. Die Kontrolle, die man zunächst hatte, ist außer Kontrolle geraten. Man hat keine Kontrolle mehr. Man wird vom Spiegelbild, von der Waage, von Kalorien kontrolliert. Man ist unglücklich, depressiv, hat keine Freunde mehr, keinen Spaß mehr am Leben. Schließlich wird man für ein paar Monate in eine Klinik gezwungen, damit man wieder gesund wird. Aber warum denn überhaupt? Man ist doch gesund, man hat alles unter Kontrolle, SO krank ist man schließlich nicht!

Ihr seid in einer Essstörung gefangen und könnt da nicht raus. 10-20% sterben daran. Qualvoll, langsam. Man schadet nicht nur sich, man zieht auch die ganze Familie und die Freunde mit hinein. Im schlimmsten Fall sterbt auch ihr. Mit 20 Jahren, wo man doch noch so viel vor hatte: eine Familie gründen, heiraten, studieren, Ausbildung, ins Ausland gehen.

Was mit einer zweiwöchigen Diät begann, endete mit dem Tod. Bitte, bitte, bitte, sucht euch Hilfe und akzeptiert diese auch. "Aber so krank bin ich gar nicht, XY geht es viel schlechter als mir" - ihr werdet immer jemanden finden, dem es schlechter geht. Aber das macht eure Probleme, euer Leid, doch nicht geringer! Ihr habt genauso Hilfe verdient wie jeder andere Mensch auch. Wenn ihr reden wollt, dann kontaktiert mich bitte. Aber staut nicht alles auf und wartet nicht darauf, bis das Fass voll ist. Das Leben kann so schön sein, wenn man es denn nur so sehen und so gestalten will.


6 Kommentare:

  1. Oh man ich wünschte das hätte ich 2 oder 3 Monate früher gelesen das mit der 2-wöchigen diät und dann ist alles gut kommt mir sehr bekannt vor !
    Aber wirklich sehr schön geschrieben könnte mir gut vorstellen dass es abschreckt viele denken ja so mit der diät und dann kann man wieder normal essen und so :/
    lg, snowflake

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  2. Aber wie soll ich aufhören? Ich kann nichts essen sonst renne ich sofort auf klo und alles kommt wieder raus...

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    1. Klein anfangen. Langsam den Magen an feste Nahrung gewöhnen. Und vor allem: durchhalten und stark sein. Und noch wichtiger: professionelle Hilfe suchen.

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  3. Ich habe noch nie einen soooo tollen Beitrag gelesen, der so ungeschminkt und doch nicht anklagend die Probleme einer Magersucht anspricht!

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  4. Ich habe noch nie eine sooo tolle schonungslose, ehrlich und doch nicht anklagende Erklärung für Magersucht gelesen!

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