Samstag, 25. Juni 2016

Entscheidungen

"Das Leben ist grausam und schmerzhaft, und das wird es auch immer sein, also kannst du auch direkt lernen, damit umzugehen." Sowas wird uns in der Klinik öfters gesagt. Ich bin jetzt seit gut zwei Monaten hier und bin weit gekommen. Mein ganzes Leben bin ich vor den Gefühlen weggelaufen und in den letzten zwei Monaten habe ich genau das Gegenteil gemacht. In bisherigen Therapien wurde die Verantwortung für mich übernommen, in der aktuellen Therapie muss ich selber Verantwortung übernehmen. Das war und ist gar nicht so einfach, aber ich gewöhne mich dran. Normalerweise würde ich Tabletten nehmen, um dem Schmerz zu entfliehen, aber hier ist das nicht so. Keine Medikamente, damit wir auch alle Schmerzen spüren. Wir können weglaufen, wenn wir das möchten. Keiner hält uns davon ab. Aber wir werden ständig daran erinnert, dass es unsere Entscheidung ist. Wir können die Entscheidung treffen, nicht davonzulaufen und den Schmerz und die Gefühle einfach mal auszuhalten. Nichts damit zu machen. Sie akzeptieren. Das Leben wird immer grausam und schwierig sein, aber wir können nicht ewig davonlaufen. Das Wort "Entscheidung" hören wir bestimmt 1000x am Tag. Aber wir haben eine Entscheidung. Mein ganzes Leben war ich mir darüber nicht so sicher, aber hier lernen wir, die Wahrheit zu sehen. Hier lerne ich zu akzeptieren, dass ich allein die schlechten Entscheidungen bisher getroffen habe. Entscheidungen, die starke Auswirkungen auf mich und meine Familie hatten. Entscheidungen, die so schmerzhaft waren, dass es mir unangenehm ist. Es tut mir weh, darüber nachzudenken, dass ich die Entscheidungen getroffen habe. Ja, ich war krank, aber ich habe dennoch die Entscheidungen getroffen. Die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern, aber ich kann heute und morgen etwas verändern.
Entscheidungen zu treffen ist gar nicht so einfach. Zumindest, wenn es große Entscheidungen sind. Mich dafür zu entscheiden, gegen meine Krankheit und meine Zwänge vorzugehen, ruft große Angst hervor. Diese Angst ist nur schwer zu ertragen, der ganze Körper tut dann weh. Normalerweise haue ich dann ab, was bedeutet, dass ich mich meinen Gefühlen nicht aussetze. Was wiederum bedeutet, dass ich viele unterdrückte Gefühle in mir habe und wie eine tickende Zeitbombe bin, die irgendwann explodiert. Es ist sehr kompliziert. Hm.. so langsam fange ich an zu verstehen, warum ich mit den Gefühlen nie klar kam. Warum ich immer abgehauen bin. Durch mein Verhalten bin ich auch nicht so weit entwickelt wie andere in meinem Alter. Ich fühle mich nicht wie eine Person. Ich habe kein Selbstbewusstsein.
Es ist schwierig in der Klinik. Ich bin so erschöpft und hab das Gefühl, als würde ich jeden Moment aufgeben. Der Drang, einfach abzuhauen und ein wenig Frieden zu haben, ist groß. Aber wenn ich das tue, gehe ich nur rückwärts. Ich muss da durch. Bevor ich in die Klinik gegangen bin, habe ich die Entsscheidung getroffen, dass ich das aushalte. Egal, wie schwierig es wird. Ich möchte mein Leben leben, ich möchte mein Leben zurück. Das Wochenende bin ich jetzt Zuhause und die kleine Auszeit ist gut. Ich brauchte ein wenig Motivation und Stärke. Es ist schön, bei meiner Familie zu sein und Kraft zu tanken. Zuhause sein ist schön. Ich fühle mich dort sicher.

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