Samstag, 3. Dezember 2016

Zeit

Seit ich wieder Zuhause bin, fühle ich mich sehr unsicher. Das ist wahrscheinlich nicht ungewöhnlich, denn alles ist so neu. Ganz neue Situation, dass ich zum ersten Mal alleine wohne. Alles muss erledigt werden und ich muss mit neuen Psychologen, Ärzten, mit einem neuen Team klar kommen. Ich muss lernen, alleine zu sein. Alles ist so neu und unsicher.

Die meiste Zeit bin ich alleine und wenn ich alleine bin, habe ich große Angst und bin sehr angespannt. Ich habe Angst zu dissoziieren, Angst zu sterben, Angst rauszugehen, Angst das Sofa zu verlassen. Das Sofa ist sowas wie ein sicherer Ort für mich. Ich habe mit Halluzinationen zu kämpfen und höre und sehe Dinge aus meiner Vergangenheit. Wenn ich sowas erlebe, passiert etwas in meinem Körper. Eine Reaktion, mein Körper erinnert sich, und es ist fast so, als würde ich es noch einmal erleben. Auch wenn ich weiß, dass es nicht wirklich passiert, fühlt es sich so real an. Das passiert oft und ich habe Angst davor. Ich dissoziiere und bin erschöpft.

Ich weiß, dass das nur eine Phase ist, die ich überstehen muss. Und ich versuche an all das zu denken, was ich in den letzten 13 Jahren alles bewältigt habe. Wenn ich daran denke, ist es einfach nur unglaublich, dass ich immer noch in meiner Wohnung bin. Dennoch denke ich so viel über die Vergangenheit nach, dass die richtige Zeit einfach verstreicht und ich sauer werde. Ich möchte die Vergangenheit vergessen und nicht darüber nachdenken, ich möchte eine Pause, weil ich ständig davon eingeholt werde. Ich war schon immer sehr ungeduldig und wollte mir ein paar Schritte voraus sein. Ich weiß, dass ich mit meiner Vergangenheit und den Herausforderungen leben muss. Es ist nur so schwierig und schmerzhaft und ich bin so müde. Es ist schwierig, das zu akzeptieren. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass ich meine Vergangenheit nicht ändern kann.

Ich versuche also geduldig zu sein und mir die Zeit zu geben. Ich habe die Zeit. Ich hab sie und ich habe die Macht, Entscheidungen zu treffen. Jeden Tag. Vielleicht konzentriere ich mich auf all das, was ich nicht schaffe, all mein Versagen, all die Herausforderungen und wie sehr ich mich hasse. Aber ich kann mich auch darauf konzentrieren, dass ich Hilfe habe, dass ich Zeit habe und ein wenig geduldiger mit mir sein muss. Mich auf das konzentrieren, was gut ist. Ein wenig mehr Spaß zu haben. Alles nötige zu tun und meine Gefühle zu akzeptieren.

Ich habe viel erreicht und viel geschafft. Man hatte mich aufgegeben, ein hoffnungsloser Fall, zu kaputt, zu beschädigt, zu krank, zu traumatisiert, keine Zukunft, zwischen Leben und Tod. Und schaut, wo ich heute bin. Das ist ein Wunder. Auch wenn es so schwierig ist, werde ich es schaffen. Ich habe eine zweite Chance erhalten und ich werde mein Leben zurück erobern.

Es ist einfach, sich auf die schlechten Dinge zu konzentrieren und nur das zu beleuchten, was man nicht hinkriegt. Aber eigentlich schaffe ich auch ganz schön viel. Ich bin auf dem Weg. Aber das braucht Zeit.

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