Mittwoch, 19. September 2012

Ein schwieriger Tag, der mich viel gekostet hätte...

aber... ich habe mich von dir weggedreht. [Geschrieben am Dienstag Abend]
Heute war ein unglaublich verrückter Tag. Der Dienstag ist der schlimmste Tag der Woche. Dienstags werden alle gewogen. Die Waage hat mir angezeigt,d ass ich meinen Job erledigt habe. Ich habe drei Kilo in einer Woche zugenommen. In meinem kranken Kopf war das ein Disaster und das hätte mir auch den Rest des Tages vermiesen können. Während des Sommers war die Zahl auf der Waage sehr wichtig für mich. Die Zahl hat den Tag bestimmt. Wenn sie höher war, dann gab es eine Bestrafung. Wenn sie niedriger war, dann hab ich mich gefreut. Alles hing von dieser Zahl ab.

Diese drei Kilo waren etwas zu viel für mich. Ich habe meinen Mund und meine Stimme verloren, während die Krankheit zehnmal stärker und lauter wurde. Die Macht, die ich bisher erlebt hatte, wurde ersetzt durch Angst und Panik. Es gab keine Frage. Nicht mehr Essen, nicht mehr ausruhen, keine Macht. Jetzt nur noch die Krankheit, ich hatte keine Chance.
Frühstück und Mittagessen gingen - wortwörtlich, wenn man es so sehen will - den Bach hinunter (bzw ins Klo). Nach dem Frühstück hab ich etwas Zeit mit Fressattacken und anschließendem kotzen verbracht, um meinen Frust zu betäuben. Danach wollte ich nie wieder etwas zu essen anfassen. In meinem Kopf war kein Platz für irgendwelche Strategien oder Dinge, die ich gelernt habe und über die ich hier noch geschrieben habe.
Ich habe mit meiner Vertrauensperson über meine Gedanken gesprochen und meinte, sie könne mir die Entlassungspapiere geben. Ich hätte den Kampf verloren, ich würde aufgeben. Ich könnte nicht mehr zurückgehen und die Krankheit hätte mich eingenommen. Ich würde so schnell es geht wieder in die Krankheit laufen. Die Tür war fast geschlossen. Ich war so traurig. Das wars. Ich hatte keine Hoffnung mehr, ich hätte auch sterben können. Sterben ist quasi dasselbe wie jeden Tag mit der Krankheit zu leben.

Ich war total ambivalent und saß im Gemeinschaftsraum und habe eine Tasse Tee getrunken. Plötzlich kam eine andere Patientin rein und hat rumgealbert und mich damit angesteckt. Was, wenn ich auch so glücklich sein könnte? Dann habe ich mich daran erinnert, dass es solche Tage geben wird, wenn ich weitermache. Und irgendwie hat diese Situation etwas gebracht. Mir wurde klar, dass nur eine Zahl die Stimmung so gekippt hatte. Kann ich mich wirklich weiter zerstören lassen? Das ist doch meine Chance jetzt! Ich bin in mein Zimmer gelaufen und habe etwas geschrieben.

Scheinbar kann ich es nicht mich zerstören lassen. Ich habe die Macht, ich habe das Sagen. Das ist meine Chance, gesund zuwerden. Ja, da ist eine Mauer, aber die kann ich durchbrechen und weitergehen. Das ist mein Weg und ich bin der Boss.

Anschließend habe ich mit meiner Vertrauensperson über alles gesprochen. Eine halbe Stunde lang darüber, warum ich weitermachen will. Wir haben uns darauf geeinigt, von neu anzufangen und nach vorne zu schauen.

Ich habe mich umgedreht. Das Abendessen wurde gegessen und drinbehalten. Ich bin wieder auf dem Weg, nachdem ich einen schwierigen Umweg genommen habe.

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