Dienstag, 20. Mai 2014

Happy End

Die Sonne scheint, der Sommer kommt, die Eichhörnchen klettern über die Bäume, Freunde und Familie grillen und essen draußen. Alles erweckt zum Leben.

Mein Leben ist derzeit nicht so. Ich bin in der Klinik und darf nicht raus, stehe unter "Überwachung". Ich hatte heute ein Gespräch mit den Leitern in der Klinik und die hatten keine gute Nachrichten für mich. Die Regeln müssen weiterhin so strikt sein und alles muss beim alten bleiben, weil ich sehr labil und ungewiss handle, wenn ich dissoziiere. Tatsächlich sieht es so aus, dass ich 23 Stunden am Tag "normal" bin und dann eine Stunde habe, wo ich "nicht normal" bin. Die Umstellung ist einfach sehr stark, weil die Regeln hier ganz anders sind als in der anderen Klinik. Ich versuche, das beste daraus zu machen und mich umzugewöhnen und mich daran zu erinnern, dass ich hier sicher bin und es nur zu meinem besten ist.

In der letzten Zeit gab es hier leider ein paar Suizide und Suizidversuche und da wird natürlich nachgefragt, wo der Fehler lag. Ob sie nicht gut genug "bewacht" wurden oder ob sie von einer anderen Klinik kamen und die Informationen nicht korrekt weitergeleitet wurden. Oder dass sie lediglich die falsche Therapie erhalten haben. Es ist schwierig zu wissen, dass manche so sterben mussten. Ich glaube, dass sie eigentlich leben wollten, aber dass es manchmal so schwierig war, dass sie keine Hoffnung sahen. Sie waren sehr krank und wollten auch irgendwo leben, aber das kann man nicht immer sehen.
Ich persönlich möchte nicht sterben. Im Gegenteil - ich möchte leben. Aber ich bin auch ehrlich und sage, dass ich es schon oft so schwer hatte, dass ich keinen anderen Ausweg gesehen habe und versucht habe, mich umzubringen. Aber ich wurde immer gerettet und dafür bin ich jetzt sehr dankbar.

Ich finde es schwierig, mein eigenes Leid zu sehen, aber manchmal nichts dagegen machen zu können. So ist das, wenn ich dissoziiere. Es ist jetzt zum Glück nicht mehr so, aber ich hatte eine Phase in meinem Leben, wo ich mich, während ich dissoziiert habe, so stark selbstverletzt habe, dass ich 42x genäht und behandelt werden musste. Es ist ein Wunder, dass ich diese Behandlungen überlebt habe. Ich habe einen Körper aus Stahl, ich bin ein lebendes Wunder... so nennen sie mich manchmal. Aber ich will jetzt nett zu meinem Körper sein und mehr auf ihn Acht geben. Es ist der einzige Körper, den ich haben werde. Und den werde ich so formen, wie ich das will. Bald darf ich wieder Sport treiben, dann will ich Muskeln aufbauen, aber gleichzeitig ein gesundes Gewicht halten. Wegen meiner Verletzungen durfte ich jetzt ein Jahr nicht trainieren, aber seit zwei Monaten ist nichts mehr passiert und deshalb darf ich wohl bald wieder vorsichtig anfangen.
Ich will einen normalen Körper, der alles ganz normal ausüben kann. In diesen magersüchtigen Körper will ich nicht zurück, das ist keine Frage. Einen gesunden Körper zu haben ist sowohl körperlich als auch mental sehr wichtig. Ich schaffe mehr. Und kann auch mehr entscheiden. Wenn ich einen gesunden Körper habe und gut esse, kann ich Sport machen und meine mentale Gesundheit ist auch besser.
Wenn man von einer Essstörung gesund werden möchte, muss man seinen kranken Körper loslassen. Der magersüchtige Körper hat auch gleichzeitig magersüchtige Gedanken, Zwänge etc. Man kann nicht beides haben. Man kann nicht gesund sein, und trotzdem einen magersüchtigen Körper haben. Gesund werden bedeutet auch, zuzunehmen und ein gesundes Gewicht zu erreichen. Das ist für viele sehr schwierig. Sie fühlen sich in ihrem neuen Körper unwohl. In meinem Fall habe ich mich dreckig und unwohl gefühlt. Aber ich weiß jetzt, dass es nicht um meinen Körper, sondern um meine Gefühle geht. Und das hat lange gedauert, eh ich das verstanden habe. Ich muss mich akzeptieren und mich annehmen. Es ist okay, wenn mein BMI bei 20-21 liegt. Es ist nicht gefährlich und meine Krankheit lügt. Ich dachte, ich würde glücklich werden, wenn ich abnehme, aber mit jedem Kilo habe ich mich noch schlechter gefühlt. Ich war nie dünn genug. Der Körper konnte nicht mehr, war schwach und das Herz schlug nicht richtig. So lange du nicht auf deinen Körper acht gibst und ihn nicht pflegst, pflegt dein Körper dich auch nicht und versagt. Das ist ein wahrer Kampf und das Gehirn arbeitet nicht richtig, wenn der Körper so unterernährt ist. In meinem Fall musste mein BMI von 11 auf 17 getrieben werden, bevor ich groß mitarbeiten konnte. Pro Woche musste ich 700g zunehmen und wenn das Gewicht nicht hoch ging, wurde meine Nahrungsaufnahme direkt erhöht. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich keinen Sport machen konnte und mich auch nicht übergeben durfte. Meine Kalorienaufnahme lag teilweise bei 4000 am Tag.
Diese Zeit war unglaublich anstrengend für mich. Die Krankheit hatte meinen Körper unter Kontrolle und ich lief auf Autopilot. Das Gewicht ging nicht hoch. Mein Kopf funktionierte nicht, ich konnte nicht klar denken, und mir wurde gesagt, wenn ich weiter Sport treiben würde und mich übergeben würde, würde das Herz bald aufhören zu schlagen. Also wurde mir das verboten und ich wurde ständig überwacht. Dann musste eine neue Art her, damit ich mich nicht dreckig fühle. Selbstverletzung. Ich musste mich dafür bestrafen, dass der Körper dreckig wurde (Gewicht nahm zu). Ich weiß noch, wie depressiv ich war. Ich habe ständig geweint, wurde teilweise zwangsernährt. Tag für Tag.

Aber ich musste eine Entscheidung treffen. Ich musste lernen, dass ich zwischen Dingen unterscheide. Dass ich lerne, was Nahrung wirklich ist. Ich musste lernen, wieder zu essen. Nahrung als Medizin. Die beste Medizin gegen meine Krankheit. Ich habe mir gesagt, dass ich das Essen verdiene und es gut für mich sei. Wenn ich esse, war mein Körper glücklich und dann war auch irgendwann glücklich. Aber es war schwierig. Wenn ich selbst für mich sorgen musste, war das wie eine Tortur. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Selbstverletzung begann und ich hatte keine Kontrolle. Meine Hände wurden von irgendwas anderem geleitet, ich hatte keine Chance aufzuhören. Ich habe mich oft fast zu Tode verletzt. Es ist unglaublich, dass es irgendwie immer gut ausging. Ich hatte oft innere Blutungen und musste operiert und behandelt werden. 42x. Genauer will ich nicht darüber schreiben, aber ich möchte noch erwähnen, dass ich mich so stark verletzt habe, wegen der Sache, dir mal als Kind passiert ist. Diese Sache verfolgt mich noch immer.
Aber ich muss auch sagen, dass es mir besser geht. Ich habe Leute getroffen, die mich mit offenen Armen empfangen haben und mich wie einen Menschen behandelt haben. Sie haben meine Krankheit ernst genommen und ich habe mich sicher gefühlt. Ich konnte ihnen vertrauen und habe gelernt, ihre Stimmen zu hören und nicht die meiner Krankheit. Langsam wurde ich stärker und konnte mehr die Kontrolle erlangen. Ich kann heute sagen, dass ich alles versuche, um ein gesundes Leben zu erhalten. Ich kämpfe gegen meine Krankheit, weil ich einfach nur ich selbst sein möchte. Ich möchte gesund werden und Ärztin werden. Ich möchte anderen Menschen helfen, wenn sie das selbst nicht können.

Ich denke an das gute im Leben - nicht an die Hölle voller Schmerz und Dunkelheit. Wir alle können das Leben wählen. Manche brauchen ein wenig länger als andere, aber das ist okay. Wir alle kommen dort an, es ist möglich.

Ich weiß, welches Leben ich möchte. Ich möchte gesund und stark sein, sodass ich für mich selbst die richtigen Entscheidungen treffen kann. Ich möchte mein Boss werden, anderen helfen, Mutter werden, Oma werden. Ich möchte als alte Frau draußen sitzen und lächeln, weil ich weiß, dass ich mein Leben gelebt habe. Ich möchte wissen, dass ich mit 21 Jahren in der Lage war, die Krankheit loszulassen. Ich möchte wissen, dass ich alles getan habe, um ein gesundes Leben zu leben, auch wenn ich zehn Jahre lang krank war. Eines Tages werde ich dort sitzen und lächeln, glücklich sein. Dann bin ihc in der Sonne und kann der Sonne entgegen gehen. Jetzt noch nicht, aber irgendwann.

Meine Geschichte hat ein Happy End.

2 Kommentare:

  1. Es ist beachtlich, was für schwierige Zeiten du schon hinter dir gelassen hast. Und Bewunderung dafür,dass du positiv in die Zukunft blickst und versuchst, das beste aus allem zu machen. Das ist echt toll. Hauptsache, man steht wieder auf.

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  2. Das klingt sehr schwierig alles... aber die Hauptsache ist, dass du dich den Problemen stellst und sie angehst. Die Klinik scheint sich viele Gedanken zu machen und auf jeden Fall das richtige machen zu wollen. Ich dneke, du bist dort in guten Händen, nachdem, was du schreibst.

    Ich bin mir sicher, dass du gestärkt aus der ganzen Sache hervor gehen wirst. :)

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